Catégorie : Politique

  • Prostitution in Straßburg: ein Leben in Zwischenwelten

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    In Straßburg ist Sexarbeit untersagt, hat aber nur für die Klientel Folgen. Seit 2014 gibt es auch im deutschen Kehl ein Gesetz, das das Geschäft verbietet. Doch selbst zehn Jahre später beeinflusst die Bürokratie die Prostitutions-Szene im Grenzgebiet.

    Nathalie Schneider und Shawn-Orric Dreyer

    Es ist Dienstagnachmittag, gegen 17 Uhr. Etliche Autofahrer*innen sind auf der Straßburger Rue du Havre auf dem Weg nach Hause. Für sie ist der Arbeitstag beendet. Für andere hingegen fängt er gerade erst an. Eine Frau in den Dreißigern nutzt die viel befahrene Straße zugunsten ihres Geschäfts. Gekleidet in schwarzen Leggins, grünem Neckholder-Top und einer silber glitzernden Jacke, läuft sie den Bürgersteig entlang, macht Autofahrende auf sich aufmerksam und versucht, sie zum Anhalten zu bringen. Ein junger Mann fährt an den Straßenrand und öffnet das Fenster auf der Beifahrerseite. „Einmal blasen, 30 Euro”, ruft sie in das Fahrzeug.

    Fazit nach zehn Jahren Verordnung

    Ein paar hundert Meter weiter, hinter der Europabrücke, liegt Deutschland. Dort ist Sexarbeit als eingetragener Beruf bereits Jahrzehnte lang erlaubt und durch Einführung des Prostitutionsgesetzes seit 2002 nicht mehr sittenwidrig. Doch seit 2014 gibt es eine Verordnung, die die Sexarbeit in Kehl verbietet. Normalerweise dürfen Städte in Baden-Württemberg ab einer Einwohnerzahl von 35.000 Prostitution zulassen. Mit rund 40.000 Einwohner*innen wäre diese in Kehl also unter Umständen erlaubt – gäbe es nicht besagte Verordnung. Doch auch heute noch, gut zehn Jahre nach der Erlassung des Verbots, sind die Prostituierten noch immer in Straßburg, nahe der deutschen Grenze. 

    „Sie leben manchmal in luftleerem Raum”

    Aline Goetz über die Prostituierten im Grenzgebiet

    Aktuelle Zahlen, speziell für Straßburg, lassen sich nicht finden. „Sie leben manchmal in luftleerem Raum”, sagt Aline Goetz von der Fachberatungsstelle für Sexarbeitende P.I.N.K. in Kehl. In Frankreich sei eine Anmeldung für Sexarbeitende zwar möglich, es gebe aber keine Regulierung so wie in Deutschland, weiß Goetz.

    „Es gab immer wieder Gewalt”, berichtet die Sozialarbeiterin. Seit einigen Jahren spitze sich diese allerdings vor allem gegenüber trans* Personen und Crossdresser, früher als „Transvestiten” bezeichnet, zu. „Die sind etwas mehr im Fokus der Gewalt, aber die anderen erleben es auch”, berichtet sie. Eine Zeit lang seien die trans* Prostituierten deshalb dem Straßenstrich ferngeblieben.

    Der Großteil kommt aus Bulgarien und Rumänien

    Die junge Prostituierte mit der silbernen Jacke kommt täglich in die Rue du Havre, obwohl das Geschäft in Frankreich untersagt ist. Strafbar macht sie sich dabei aber nicht: denn sexuelle Dienstleistungen anzubieten, ist erlaubt. Nur diejenigen, die sie in Anspruch nehmen, müssen seit 2016 mit Erlassung des „Nordischen Modells” mit mehreren Tausend Euro Bußgeld rechnen.

    Viele Sexarbeitende wohnen daher zwar auf deutscher Seite, gehen aber in Frankreich auf den Straßenstrich. „Über die Gründe können wir nur spekulieren”, sagt Goetz. Sie könne es sich unter anderem durch die günstigeren Mietpreise in Kehl erklären. Oft, so Goetz, wohnen die Prostituierten in Pensionen oder Wohnungen von Vermietern, die akzeptieren, dass die Sexarbeiter*innen keinen Lohnzettel vorlegen können – weil sie durch ihre Arbeit in Straßburg keinen bekommen. „Viele sind Mütter, die ihr Geld in die Herkunftsländer schicken”, erklärt Goetz. Den Frauen selbst bleibe daher oft nicht viel von ihrem Lohn.

    Die „Mission interministérielle pour la protection des femmes contre les violences et la lutte contre la traite des êtres humains” (Miprof) gibt in einem online verfügbaren Schreiben der nationalen Beobachtungsstelle zur Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2024 an, dass es 2022 in Frankreich geschätzt 40.000 Prostituierte gab. Sie bezieht sich dabei auf Angaben des „Office central pour la répression de la traite des êtres humains”. Der Großteil dieser Personen stamme aus Rumänien und Bulgarien, erklärt Miprof weiter.

    In Deutschland ist es ähnlich: Das Statistische Bundesamt sprach in einer 2024 erschienenen Pressemeldung deutschlandweit von rund 30.600 angemeldeten Prostituierten im Jahr 2023, schätzte deren tatsächliche Zahl aber mindestens auf das Doppelte. Überwiegend kommen die Sexarbeiter*innen dem Statistischen Bundesamt nach, ebenfalls aus Rumänien und Bulgarien. Nur ein Fünftel der angemeldeten Sexarbeitenden besaß demnach die deutsche Staatsbürgerschaft, führt das Amt weiter aus. Und auch zu Goetz kämen fast ausschließlich Personen aus Bulgarien oder Rumänien, sagt sie.

    Vernetzung für zusätzlichen Schutz der Frauen

    In der Rue du Havre ist die Frau mit silberner Jacke bald nicht mehr allein: Ein Stück weiter sind zwei weitere aufgetaucht. Beide kamen aus derselben Richtung, offenbar aus dem grauen Haus, dessen Fensterläden im ersten Stock geschlossen sind und neben dem ein schwarzer BMW mit abgedunkelten Scheiben und Blick auf die Straße steht. Es herrscht eine merkwürdige Stimmung, man fühlt sich beobachtet und traut sich kaum, die Frauen in ein Gespräch zu verwickeln.

    Die Frauen gehen jetzt die Rue du Havre hinunter, laufen über mehrere Hundert Meter auf und ab, entfernen sich aber nie zu weit vom Haus. Dass die Straße viel befahren ist und es etliche Augenzeug*innen auf dem parallel verlaufenden Radweg gibt, scheint die Sexarbeiterinnen nicht zu stören – schließlich werden sie durch das französische Gesetz geschützt. Hier in der Rue du Havre, nahe der deutschen Grenze, können sie trotz Verbot ihrem Geschäft nachgehen, ohne rechtliche Konsequenzen fürchten zu müssen.

    Um die Prostituierten im Grenzgebiet zu schützen, arbeitet P.I.N.K. unter anderem mit dem französischen Verein AIDES zusammen, der sich für die Bekämpfung von Aids und Hepatitis einsetzt. Zwar gibt es auch in Straßburg Fachberatungsstellen für Prostituierte, allerdings stehe bei diesen vor allem der Ausstieg aus der Szene im Vordergrund, berichtet Goetz. Was ihr trotz Vernetzung fehle, bedauert Goetz, sei ein direktes Pendant zu P.I.N.K., das sich mit allen Lebensbereichen der Sexarbeiter*innen auseinandersetzt.

  • Contrôles à la frontière : l’Allemagne tord le droit européen

    Rétablis par le gouvernement allemand en septembre 2024 après les attentats de Solingen, les contrôles à la frontière allemande sont contestés à l’intérieur du pays et au sein de l’espace Schengen qu’ils menacent.

    François Bertrand et Adèle Pétret

    Sur le quai du tramway, à l’arrêt « Kehl Bahnhof », les passager·es venu·es de Strasbourg sont accueilli·es par une dizaine de policier·es allemand·es. Ce mercredi de la mi-mars, les agents contrôlent l’identité de huit hommes sortant d’une même rame, dont six sont des personnes racisées. Reconnaissables à leur uniforme bleu, les agents de la Bundespolizei, la police fédérale allemande, multiplient les opérations de ce type à la frontière entre les deux villes, séparées par le Rhin.

    C’est le résultat d’une décision prise le 16 septembre 2024 par le ministère de l’Intérieur allemand, dans le but de contrôler le nombre d’entrées non autorisées sur le territoire allemand. « Nous prenons des mesures concrètes pour renforcer notre sécurité intérieure et nous adoptons une ligne dure à l’égard de l’immigration clandestine », justifiait dans un communiqué la ministre allemande de l’Intérieur Nancy Faeser, après les attentats de Solingen (Rhénanie-du-Nord). Fin août 2024, un ressortissant syrien avait poignardé des passants et tué trois personnes lors des célébrations de l’anniversaire de la ville. En février 2025, le chancelier allemand Olaf Scholz a prolongé cette mesure initialement prise pour six mois jusqu’à septembre prochain au motif, de nouveau, de la lutte contre « de graves menaces pour la sécurité et l’ordre publics causées par la forte migration irrégulière et l’arrivée de migrants, ainsi que la pression exercée sur le système d’accueil des demandeurs d’asile ».

    Des refoulements en augmentation

    En principe pourtant, les contrôles aux frontières intérieures sont proscrits au sein de l’espace Schengen, qui garantit la libre circulation des personnes entre 29 États membres. Une exception demeure : les menaces à l’ordre public ou à la sécurité, permettant aux États membres de réintroduire des contrôles aux frontières nationales, par exemple lors de l’organisation de grands évènements comme le G7 ou les Jeux olympiques. Limitées à six mois, ces mesures doivent être motivées par une nouvelle raison pour être prolongées jusqu’à trois ans maximum.

    Depuis leur instauration à la frontière franco-allemande, les autorités allemandes ont enregistré 2 710 entrées non autorisées. Sur la totalité de l’année 2023, elles en ont comptabilisé 4 000. En augmentation à mi-parcours, ces chiffres communiqués par la police d’Offenbourg (Bade-Wurtemberg), près de Kehl, sont à prendre avec précaution tempère Ravenna Sohst, membre du groupe de réflexion Migration Policy Institute. « Il s’agit du nombre d’interactions et non du nombre de personnes. Un individu peut être compté deux, trois ou quatre fois. » 

    230 000

    Le nombre de demandes d’asile recueillies par l’Allemagne en 2024

    Pour Anja Bartel, co-directrice de l’association allemande Flüchtlingsrat, qui accompagne les réfugié·es dans leurs démarches administratives, l’intensification des contrôles à la frontière n’est pas gage d’une diminution des entrées de réfugié·es : « Après avoir été refoulée, une personne peut toujours traverser la frontière à un autre moment, juge celle qui est aussi sociologue. C’est impossible de fermer hermétiquement une frontière. » 

    Depuis 2015 et la volonté de l’ancienne chancelière allemande Angela Merkel d’ouvrir les frontières aux réfugié·es dans un contexte de « crise migratoire », l’Allemagne est le pays qui enregistre le plus de demandes d’asile en Europe. En 2024, elle en a accueilli près de 230 000 d’après les données d’Eurostat, loin devant la France, qui en avait répertorié deux fois moins. Sur fond de montée de l’extrême droite dans le pays, avec le score historique de l’AfD aux élections fédérales de février, le gouvernement allemand a fait volte-face. Aujourd’hui, toutes les frontières limitrophes au territoire allemand font l’objet de contrôles. Même la frontière franco-allemande, qui n’est pourtant pas une route migratoire très empruntée.

    « C’est une politique de symbole. »

    Anja Bartel, co-directrice de l’association allemande d’aide aux réfugiés Flüchtlingsrat

    « C’est une politique de symbole. Il faut montrer aux électeurs que quelque chose se passe », analyse Anja Bartel. Cette politique pourrait cependant avoir des effets néfastes sur les droits fondamentaux des personnes réfugiées. À l’annonce de la mesure, l’Autriche a par exemple prévenu qu’elle « n’accepterait pas les personnes refoulées d’Allemagne », comme l’a affirmé le ministre autrichien de l’Intérieur Gerhard Karner au Frankfurter Allgemeine Zeitung. « Les personnes migrantes et réfugiées se retrouvent dans des limbes, elles ne savent pas où aller. En fin de compte, ce sont elles qui souffrent, elles dont on ne parle pas », s’insurge Clara Bünger, porte-parole du parti de gauche radicale Die Linke. « Elles se retrouvent dans une situation extrêmement vulnérable, renchérit Ravenna Sohst. Les trajets coûtent plus cher et il y a une grande dépendance aux passeurs. »

    Des demandes d’asile empêchées

    De plus, certaines ONG et associations d’aide aux réfugié·es pointent l’illégalité des contrôles à la frontière. Selon elles, les forces de police allemandes empêcheraient des personnes de déposer une demande d’asile, ce qui est contraire à la Convention de Genève de 1951. « Certaines personnes venant de Syrie ou d’Afghanistan entrent dans la case “réfugié”. Mais, lors de la confrontation avec la police, elles vont expliquer qu’elles rejoignent des membres de leur famille ou qu’elles veulent travailler en Allemagne », explique Anja Bartel. Or ces motifs ne leur permettent pas de faire valoir une demande d’asile. « Et la police fédérale ne va pas forcément poser la question », dénonce la co-directrice de Flüchtlingsrat.

    En septembre 2024, le quotidien allemand Der Spiegel dévoilait l’existence de formulaires destinés aux personnes souhaitant entrer sur le territoire allemand. Parmi les raisons proposées pour justifier de sa venue, le témoignage policier relayé par Der Spiegel liste la visite d’un proche ou d’une connaissance, un voyage touristique, un voyage d’affaires ou un nouveau travail. Mais aucune trace de demande d’asile. 

    Fin février, le gouvernement allemand a décidé de prolonger les contrôles aux frontières pour six mois. © Adèle Pétret

    Le 17 mars 2025, le tribunal administratif de Munich (Bavière) a jugé illégal un contrôle à la frontière germano-autrichienne. Un ressortissant autrichien avait porté plainte trois ans plus tôt après avoir été verbalisé pour un refus d’obtempérer lors de la procédure. « L’instauration de contrôles aux frontières est contraire au code frontières Schengen et porte atteinte à sa liberté de circulation en vertu du droit européen », justifie le tribunal dans un communiqué daté du 18 mars 2025. « La nouvelle prolongation de six mois, au printemps 2022, des contrôles déjà introduits en 2019 n’a pas été suffisamment justifiée auprès de l’Union européenne par une nouvelle situation de fait », peut-on également y lire.

    Climat d’impunité

    Même si cette décision fait jurisprudence, elle n’a eu aucun impact sur la politique anti-immigration menée par l’Allemagne. « La Commission européenne ne prend pas de décision et n’utilise pas les outils dont elle dispose pour sanctionner les États qui ne respectent pas cette procédure. Et le fait que le Parlement et la Commission penchent plutôt à droite n’arrange pas les choses », analyse Wiebke Judith, juriste membre de l’ONG allemande d’aide aux réfugié·es Pro Asyl. Autorisés à saisir la Cour de justice de l’Union européenne, les États membres restent, eux aussi, sans réaction. « Ils sont plutôt réticents à porter plainte contre un autre État membre pour des questions diplomatiques », constate la juriste.

    Friedrich Merz, successeur d’Olaf Scholz au poste de chancelier, compte profiter de cette absence de sanctions européennes. Le chef du parti conservateur CDU a indiqué en janvier vouloir rétablir de manière permanente les contrôles aux frontières et refouler sans distinction tous les arrivant·es en situation irrégulière, y compris les demandeur·ses d’asile. « Le plus grand pays de l’Union européenne violerait ouvertement le droit européen comme seul Viktor Orbán l’a fait auparavant », critiquait Olaf Scholz, chancelier sortant, lors d’une déclaration gouvernementale devant les députés. « L’ Autriche et la Pologne ont déjà annoncé que si l’Allemagne venait à refuser des demandes d’asile, eux le feraient aussi. On se retrouverait avec un effet domino, où toutes les frontières se fermeraient », alerte Ravenna Sohst. En 2024, huit des 29 États membres de l’espace Schengen ont rétabli des contrôles à leurs frontières de manière temporaire.

  • Fessenheim, ein diplomatischer Störfall


    Fessenheim, Frankreichs ältestes Atomkraftwerk an der deutschen Grenze, ist 2020 stillgelegt worden. Neue Pläne für das Gelände sorgen nun erneut für Spannungen und machen Fessenheim zum Symbol eines anhaltenden Nachbarschaftskonflikts.

    Mathilde Stöber

    Fünf Jahre nach der Stilllegung des AKW erlebt man im elsässischen Fessenheim aktuell ein Wiederaufleben der Debatte um die Zentrale. „Die Spannungen von damals sind vor Ort noch immer spürbar“, sagt Elise Julien, Historikerin und Expertin für deutsch-französische Beziehungen. Der Grund: Der Energiekonzern EDF plant auf dem Gelände eine Anlage zur Verwertung radioaktiver Metalle. Konkret geht es um eine Schmelzanlage für schwach radioaktiv belasteten Schrott. Vor allem in Deutschland regt sich Widerstand – und Fessenheim wird erneut zum Symbol der unterschiedlichen Energiepolitiken beider Länder. „Fessenheim war Frankreichs ältestes und störanfälligstes Atomkraftwerk. Die Nähe zur deutschen Grenze verstärkte die Angst vor einem Unfall – spätestens seit der Nuklearkatastrophe in Fukushima“, sagt Anna Deparnay-Grunenberg, trinationale Politikerin und frühere Europaabgeordnete der Grünen.

    Fessenheim-Aus: Ein Zugeständnis an Deutschland?

    Nach jahrelangem Widerstand konkretisieren sich die deutschen Forderungen für eine Schließung von Fessenheim schließlich unter Angela Merkel. Mit den Worten „Ein bedeutender Tag für die deutsch-französische Freundschaft“, beginnt die ehemalige Bundeskanzlerin am 22. Januar 2019 ihre Rede bei der feierlichen Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags in Aachen. Weniger feierlich dürften die Verhandlungen im Vorfeld gewesen sein. Erst einen Tag vor der Unterzeichnung einigen sich Unterhändler*innen beider Regierungen auf eine Liste mit rund 15 „vorrangigen Projekten“, die sofort umgesetzt werden sollen. Deutschland drängt darauf, das AKW Fessenheim als vorrangiges Projekt festzulegen – Frankreich stimmt zu. Denn Emmanuel Macron erfüllt damit nicht nur eine deutsche Forderung, sondern vollendet auch das Vorhaben seines Vorgängers François Hollande. „Die Abschaltung von Fessenheim war aber schon vor dem Vertrag von Aachen beschlossen“, erklärt Historikerin Elise Julien. Tatsächlich hatte François Hollande bereits 2012 angekündigt, das AKW zu schließen – als Zugeständnis an die Grünen. Ein konkreter Zeitrahmen fehlte jedoch, absehbar war nur eine Stilllegung bis spätestens 2022. Am Ende ging es schneller: Nach 43 Jahren Betrieb wurden beide Reaktoren von Fessenheim im Juni 2020 endgültig abgeschaltet – wenige Monate nach der Vertragsunterzeichnung. 

    Doch zu einer engeren deutsch-französischen Zusammenarbeit in der Energie-Politik führte die Abschaltung von Fessenheim nicht. Hinter verschlossenen Türen soll Emmanuel Macron nach der Vertragsunterzeichnung gesagt haben, er habe das AKW nur geschlossen, um Deutschland einen Gefallen zu tun. Für Historikerin Elise Julien eine Selbstinszenierung: „Er gibt sich eine Rolle, die er nicht hatte. Die Entscheidung war längst gesetzlich verankert, bevor er ins Amt kam. Es war nicht so, dass er mit einem Zauberstab die Schließung von Fessenheim beschlossen hat.“

    „Die Energie-Politiken könnten nicht unterschiedlicher sein“

    Auch die in Aachen beschlossenen Pläne für einen grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Innovationspark scheitern. Das binationale Projekt sollte die wirtschaftlichen Folgen der Stilllegung abfedern und Raum für nachhaltige Technologie schaffen. Doch Frankreich zog sich zurück. „Obwohl es Pläne gab, entschied sich die französische Regierung am Ende anders“, sagt Anna Deparnay-Grunenberg. „Warum Frankreich aus den Arbeitskreisen zur Nachnutzung ausgestiegen ist – und warum Deutschland nicht genug getan hat, um das zu verhindern –, kann ich bis heute nicht nachvollziehen.“ Beim Thema Fessenheim und Energiepolitik, so die Politikerin, habe man „inzwischen auf beiden Seiten des Rheins akzeptiert, dass man da nicht zusammenkommt“.

    Nicht nur lokal, auch auf nationaler Ebene driften Deutschland und Frankreich in der Energiepolitik auseinander. Seit dem Reaktorunglück von Fukushima 2011 setzt Deutschland auf die Energiewende und den vollständigen Atomausstieg. Frankreich hingegen schaltet seine AKWs nur in Ausnahmefällen ab. „Deutsche und französische Energiepolitik könnten heute nicht unterschiedlicher sein“, sagt Elise Julien. Für Anna Deparnay-Grunenberg spiegeln sich darin auch die Unterschiede in der politischen Kultur beider Länder wider: „Erneuerbare Energien wie Photovoltaik und Windkraft sind in Deutschland näher an den Menschen und weniger zentral steuerbar. Französische AKWs hingegen werden direkt von Paris aus gelenkt.“

    Deutschland kauft Atomstrom aus Frankreich

    Die Unterschiede zeigen sich auch in den Zahlen: Frankreich gewinnt rund 70 % seines Stroms aus Kernenergie, Deutschland setzt zu etwa 60 % auf erneuerbare Energien. Der Rest kommt aus Kohle und Atomstrom-Importen – größtenteils aus Frankreich. Trotzdem sieht Anna Deparnay-Grunenberg darin keine Abhängigkeit von französischem Atomstrom. „Wir haben einen europäischen Strommarkt. Deutschland ist heute nicht abhängiger von Frankreichs Atomkraftwerken als von polnischen Gaskraftwerken oder schweizer Wasserkraft.“ Tatsächlich stammten 2022 laut Tagesschau nur 0,4 % des in Deutschland genutzten Stroms aus französischer Atomkraft. Trotzdem – oder gerade deshalb – will Deutschland die Atomkraftwerke selbst und ihre radioaktiven Reste nicht direkt an der Grenze – wie in Fessenheim.

    Fessenheim : 42 Jahre in Betrieb
    Das Atomkraftwerk Fessenheim ging 1978 ans Netz – von Beginn an umstritten wegen seiner Lage direkt am Rhein. Als ältestes und leistungsschwächstes Kernkraftwerk Frankreichs sorgte es immer wieder für Störungen. 2014 geriet ein Reaktor nach einem Wassereinbruch für mehrere Minuten außer Kontrolle und musste abgeschaltet werden. Nach jahrzehntelangen Protesten wurden beide Reaktoren 2020 endgültig stillgelegt.